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48 Männer und Frauen, die in Kempten eine Umschulung zu Erzieher oder Erzieherin sowie Kinderpfleger oder Kinderpflegerin machen, stehen vor den Trümmern ihres Lebens. Der Grund: Die Bildungseinrichtung, an der sie ihre Umschulung absolvieren, stellt dieses Bildungsangebot kurzfristig zum Jahresende ein. Warum? Weil das gesamte Umschulungssystem krankt und dabei ist, zu zerbrechen, sagt die Leiterin der Bildungseinrichtung.
Für 48 Menschen aus dem Allgäu ist in dieser Woche die Welt zusammengebrochen. Sie können ihre Umschulung zu Erzieher oder Erzieherin, zu Kinderpfleger oder Kinderpflegerin, nicht wie geplant fortführen. Manche von ihnen stehen kurz vor den Abschlussprüfungen. Die Bildungseinrichtung, in denen sie ihre Umschulung parallel zum Praktikum in KiTa, Hort oder einer anderen Einrichtung machen, hat die Verträge gekündigt, und das schon zum Jahresende.
Die Betroffenen haben nun entweder die Möglichkeit, sich die Prüfungsinhalte im Selbststudium anzueignen, parallel zu ihren Praktika, alleine daheim im stillen (oder durch Familie nicht so stillen) Kämmerlein. Das ist nicht Jedermanns Sache, und die Prüfung ist sehr anspruchsvoll. Außerdem, so erzählt ein Teilnehmer eines der Kurse, fallen dann auch die Zahlungen der Arbeitsagentur weg – der Bildungsgutschein gilt schließlich nur, wenn sie einen Bildungsvertrag mit einer Bildungseinrichtung geschlossen haben. Und eben jene Verträge wurden nun gekündigt. Nebenbei noch arbeiten gehen und Geld zum (Über)leben zu verdienen ist kaum möglich. Die zweite Möglichkeit wäre, sich eine andere Schule zu suchen. Doch die sind weit weg, unter anderem in Friedrichshafen. Denn aktuell laufen keine Kurse an anderen Einrichtungen, extra neue Kurse für die Teilnehmerinnen und Teilnehmer zu gründen – die Klassen bzw. Jahrgänge sind mit zum Teil 7 oder 8 Lernenden sehr klein – lohnt sich schlicht nicht.
Sind uns unsere Kinder nichts wert?
Womit wir beim Kern des Problems wären: Scheinbar sind Erzieherinnen und Kinderpfleger kaum etwas wert in Deutschland, obwohl sie einen immens wichtigen Beitrag für die Kinder, also unser aller Zukunft, leisten. AllgäuHIT-Redakteurin Eva Veit hat mit der Leiterin der betroffenen Bildungseinrichtung in Kempten gesprochen. Sie sagt: "Das ganze System bricht gerade zusammen!" Und nicht nur sie ist davon betroffen. Auch viele andere Bildungseinrichtungen.
Wer eine Umschulung machen möchte und diese von der Agentur für Arbeit genehmigt bekommt, bekommt einen Bildungsgutschein. Mit diesem Bildungsgutschein geht er oder sie zu einer zertifizierten Bildungseinrichtung. Für jede Ausbildungsrichtung, die eine Bildungseinrichtung anbietet, benötigt sie ein Zertifikat. Dieses ist drei Jahre lang gültig. Mit diesem Zertifikat einher geht eine sogenannte Ausbildungsvergütung, sprich die Summe, die die Einrichtung pro Schüler und Stunde durch die Arbeitsagentur erhält. Diese Summe bleibt über die Dauer des Zertifikates gleich, erst wenn das Institut ein neues Zertifikat erwirbt, wird sie angeglichen.
Die Bildungseinrichtung in Kempten hat 2021 ein Zertifikat mit der Ausbildungsvergütung für Kinderpflege und Erziehung auf Grundlage des Jahres 2021, die 6,41 Euro betrug, erworben. 2022 ist der Satz auf 6,79 Euro erhöht worden. Die Einrichtung erhält also für jede Schulstunde, die ein Schüler der Kinderpflege oder Erziehung dort erhält, 6,41 Euro. Zum Vergleich: Bei der Ausbildung Modellbau-Fachkraft liegt der Satz bei 11,18 Euro, beim Erwerb des Führerscheins BE mit Vorbesitz B bei 42,94 Euro, bei Museumsführern bei 9,32 Euro. Nur wenige Berufe sind geringer eingestuft als Kinderpfleger und Erzieher, darunter unter anderem Helfer im Service oder Helfer in der Gastronomie.
Verbraucherindex und Energiekosten sind enorm gestiegen
Mit diesem Stundensatz werden nun die Menschen ausgebildet – hierfür benötigt die Bildungseinrichtung Räumlichkeiten, Büromaterial, Lehrkräfte, Arbeitsmaterialien, Unterrichtsmaterielien, Angestellte für Bürotätigkeiten, dazu kommen natürlich noch Kosten für Energie und Wasser. An der Schule in Kempten erhalten alle Schüler zu Beginn ihrer Ausbildung Bücher im Wert von 600 Euro zur Verfügung gestellt. Nun ist es so, erzählt die Leiterin der Bildungseinrichtung, dass die Kurse in Erziehung und Kinderpflege schon in den letzten Jahren nie rechneten. Aufgefangen werden konnte dies allerdings noch durch andere Kurse, die sie auch anbieten und die besser vergütet werden. Doch nicht mal das ist inzwischen mehr möglich.
Bekanntermaßen haben sich die Verbraucherpreise in den vergangenen Monaten enorm erhöht. Da bei gewerblichen Mietobjekten bei einem Anstieg des Verbraucherindexes ab 5 Prozent auch die Kaltmiete erhöht werden kann und der Verbraucherindex in diesem Jahr um 20 Prozent gestiegen, wurde die Kaltmiete der Einrichtung auch um 20 Prozent erhöht. Hinzu kommen die gestiegenen Energie- und Heizkosten, und auch Gebrauchsmaterialien der Schule wie Kopierpapier oder Toilettenpapier sind um einiges teurer geworden. Letzten Endes musste die Leiterin eine der, wie sie sagt, schwersten Entscheidungen ihres Lebens treffen. Sie habe sehr lange gerechnet und überlegt, aber letztendlich den Betrieb der Kurse zum Jahresende einstellen müssen. Zu groß bereits die Verluste im laufenden Jahr, zu groß die Gefahr, vollends in die Insolvenz zu geraten und auch die Kurse der verbliebenen rund 400 Schülerinnen und Schüler einstellen zu müssen, allen Angestellten kündigen zu müssen. Für die, so sagt sie, hat sie auch Verantwortung. Und es tue ihr unendlich leid, dass sie die Kinderpfleger und Erzieher nicht weiter ausbilden kann.
Was bleibt sind 48 Menschen, die im Moment nicht wissen, wie es weiter geht. Und die sich fragen, warum gerade jetzt, im laufenden Schuljahr. Die zum Teil eine Familie ernähren müssen. Einige haben erst im September ihre Umschulung begonnen, andere stehen kurz vor dem Abschluss. Auch ihre Kollegen in den Praktikumsstellen bangen mit ihnen und wollen sie nicht verlieren.
Geschrieben von: Redaktion