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Wissenschaftler der Universität Tübingen haben in der Grabungsstätte Tongrube bei Pforzen im Ostallgäu, wo bereits "Udo" gefunden wurde, die Überreste einer rund 11 Millionen Jahre alten Ur-Gans gefunden – sie gaben ihr den Namen "Allgäu-Gans".
Wissenschaftler des Senckenberg Forschungsinstituts und Naturmuseums Frankfurt und des Senckenberg Center for Human Evolution and Palaeoenvironment an der Universität Tübingen haben in der Tongrube Hammerschmiede im Allgäu die fossilen Überreste einer bislang unbekannten Gattung prähistorischer Gänsevögel entdeckt. Allgoviachen tortonica, wie die Forscher die neue Art benannten, bevölkerte Süddeutschland vor rund elf Millionen Jahren. Die Funde lassen den Schluss zu, dass die Tiere auf dem Boden, aber auch auf Bäumen lebten und etwa die Größe heutiger Nilgänse hatten. Eine entsprechende Studie wurde vor kurzem im Fachmagazin Historical Biology veröffentlicht.
Ungewöhnlich an dem Fund, der 2020 bei Grabungen freigelegt wurde, ist das komplett erhaltene Bein, wie Professorin Madelaine Böhme vom Senckenberg Center for Human Evolution and Palaeoenvironment an der Universität Tübingen berichtete: „Derartig vollständige Funde sind bei fossilen Gänsevögeln weltweit sehr selten.“ Besonders aufschlussreich für die Lebensweise von Allgoviachen tortonica ist die Form ihrer Krallen.
Diese unterscheiden sich deutlich von den Krallen heutiger Gänsevögel, die eine vorwiegend schwimmende Lebensweise haben, wie der Leiter der Studie, Dr. Gerald Mayr vom Senckenberg Forschungsinstitut und Naturmuseum Frankfurt, erläuterte. Die Forscher schließen daraus, dass die Tiere über kräftige Sehnen verfügten, mit deren Hilfe sie ihre Krallen stark beugen konnten: „Eine solche Krallenbeugung ermöglicht ein Festhalten auf Ästen oder im Fluss treibenden Baumstämmen. Ähnlich wie heute lebende Pfeifgänse, welche ähnliche Krallen aufweisen, besaßen sie wahrscheinlich die Fähigkeit in Ruhephasen auf Bäumen zu sitzen.“
Gänsevögel, zu denen auch Enten und Schwäne gehören, konnten in der Hammerschmiede durch vier Arten belegt werden. Allgoviachen tortonica stellt mit etwa zwei Kilogramm Gewicht und 70 Zentimeter Körperlänge die größte Art dar. Der wissenschaftliche Name bedeutet so viel wie Allgäu-Gans aus dem Tortonium, der Epoche aus dem der Fund stammt. „Ihre stammesgeschichtliche Position ist derzeit noch ungeklärt“, sagte Mayr: „Trotz Ähnlichkeiten zu lebenden Halbgänsen und zur Höckerglanzgans deutet eine Anzahl primitiver Merkmale darauf hin, dass Allgoviachen mit keiner der heute lebenden Gänsevögel näher verwandt ist.“
Bad im Fluss wurde möglicherweise zum Verhängnis
Die heutige Tongrube wurde vor mehreren Millionen Jahren von Flüssen durchzogen. Das komplette Bein des Fundes wurde im Bereich des Oberschenkels abgetrennt. Die Wissenschaftler werfen die Möglichkeit auf, dass es sich hierbei um einen Fraßrest von einer der fast einen Meter Körpergröße erreichenden Schnappschildkröten handeln könnte, die den Hammerschmiedefluss so zahlreich bevölkerten. „Die Befunde sind vereinbar mit einem Abbeißen des Beins während einer Schwimmphase der Allgäu-Gans. Für dieses Szenario spricht die vollständige Erhaltung aller Knochen“, erklärt Grabungsleiter Thomas Lechner.
Normalerweise sind die zu einem Individuum gehörigen Skelettelemente von Vögeln durch den Fluss über Entfernungen von vielen Metern verfrachtet worden. So auch die Flügel und Brustbeinknochen einer sehr kleinen Entenart, Mioquerquedula, welche über eine Distanz von zehn Metern im Zuge der Grabung aufgefunden wurden. Mioquerquedula ist ein wahrer Zwerg, kleiner als die kleinsten heute lebenden Zwergenten. Sie besaß eine Körperlänge von etwa 25 Zentimetern und wog vermutlich nur 300 Gramm. Heutige Zwergenten wie die Hottentottenente (Spatula hottentota) oder die Afrikanische Zwergente (Nettapus auritus) leben ausschließlich in den tropischen Gebieten Afrikas.
„Die jüngsten Funde unterstreichen erneut die weltweite Bedeutung der Tongrube Hammerschmiede für die Erforschung der Tierwelt in der Zeit vor elf bis zwölf Millionen Jahren“, sagte Professorin Böhme: „Bislang konnten wir an diesem Ort mehr als 140 verschiedene Wirbeltierarten finden, darunter auch den ersten aufrecht gehenden Menschenaffen Danuvius guggenmosi.“
Unter Leitung von Professorin Madelaine Böhme finden die Ausgrabungen in der Hammerschmiede seit 2011 statt. Seit 2020 werden sie vom Freistaat Bayern finanziell unterstützt.
Geschrieben von: Redaktion