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Wirtschaft

75 Jahre SWW Oberallgäu: Damals wie heute große Herausforderungen

today6. Juli 2022 17

Hintergrund
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In den Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg war der Wohnraum im Oberallgäu knapp. Tausende Flüchtlinge und Vertriebene waren in die Region gekommen und brauchten eine Unterkunft. Infolge der Wohnungsnot wurde im Jahr 1947 das Sozial-Wirtschafts-Werk SWW – damals noch Sonthofen, nach der Gebietsreform vor 50 Jahren Oberallgäu – gegründet. Heute, 75 Jahre später, herrscht erneut ein Mangel an günstigem Wohnraum im Oberallgäu. Am Rande der Jubiläumsfeier des SWW hat AllgäuHIT mit Geschäftsführer Martin Kaiser über die aktuellen Herausforderungen des Wohnungsmarktes gesprochen.

In den Nachkriegsjahren stieg die Anzahl der Bewohner des Landkreises stark an – mehr als 27.000 Menschen waren kurz nach Kriegsende im Bereich des heutigen südlichen Oberallgäu als wohnungssuchend registriert, etwa 23 Prozent der damaligen Landkreisbevölkerung. Aus dieser Not heraus gründeten die Gemeinden am 21. August 1947 das Sozial-Wirtschafts-Werk im Sitzungssaal des Landratsamtes in Sonthofen als gemeinnützige Organisation. Ende 1949 konnte dann bereits die erste Wohnanlage bezogen werden. Sieben Jahre später wurde in Immenstadt die 1000. SWW-Wohnung gefeiert, weitere acht Jahre später die 2000. Nicht einmal 20 Jahre nach Gründung des SWW hatten damit bereits mehr als 7.000 Menschen im Landkreis eine Unterkunft gefunden. In den 1960er Jahren lebten rund 25 Prozent der Einwohner Sonthofens in Wohnungen des SWW sowie etwa 22 Prozent der Einwohner Immenstadts.

Die Zielsetzung des SWW war von Beginn an, breite Bevölkerungsschichten mit sicherem und sozial verantwortbarem Wohnraum zu versorgen. Das hat sich bis heute nicht geändert. Heute leben rund 3.650 Haushalte in einer Wohnung des SWW – vom kleinen Appartement bis zur Familienwohnung. Fast im gesamten Landkreis – Bad Hindelang, Balderschwang, Blaichach, Burgberg, Fischen, Immenstadt, Missen, Oberjoch, Oberstaufen, Oberstdorf, Rettenberg, Sonthofen und Waltenhofen – hat das SWW in den vergangenen 75 Jahren Wohngebäude errichtet. Darunter sind unter anderem auch seniorengerechte Wohnungen oder Häuser mit Mitarbeiterwohnungen. Bereits seit den 1970er Jahren wurden die Wohnungen nach und nach saniert.

Mit dem Großprojekt Goethe+ in Sonthofen hat sich das SWW etwas ganz Neues vorgenommen – dort entsteht aktuell ein völlig neues Wohnquartier, die bestehenden SWW Gebäude werden modernisiert und in die Neubauten integriert, erstmals wird hier auch ein Quartiershaus entstehen. Das Ziel: Alt und Jung sowie verschiedene Gesellschaftsschichten sollen gemeinsam in einem Viertel leben. Und, in Hinblick auf die Zukunft: bei der Errichtung des Quartiers wird besonderer Augenmerk auf Nachhaltigkeit gelegt.

Auch heute ist das Thema Wohnungsmangel wieder ganz aktuell. Erschwinglicher Wohnraum ist auch im Oberallgäu knapp, gerade Familien mit kleinen Kindern und Menschen mit geringem Einkommen tun sich schwer, eine bezahlbare Wohnung zu finden, die ihren Ansprüchen gerecht wird. Dazu kommen ganz aktuell die Flüchtlinge, nicht nur aus der Ukraine, die zumindest vorübergehend eine Unterkunft benötigen.

Gespräch mit Martin Kaiser

Auf der Feier zum 75. Jubiläum des SWW hat AllgäuHIT mit SWW-Geschäftsführer Martin Kaiser gesprochen.

Herr Kaiser, kann das SWW den aktuellen Problemen Herr werden? Es fehlt an günstigem Wohnraum im Oberallgäu, gerade Familien sind oft verzweifelt auf der Suche nach größeren Wohnungen, die sie sich leisten können.

Martin Kaiser: „Auf jeden Fall. Wir sind aktuell mit einem Quadratmeterdurchschnittspreis von 5,98 Euro im Bereich der bezahlbaren Miete. Der billigste Mietpreis in den Wohnungen des SWW liegt bei 3,42 Euro pro Quadratmeter, der teuerste bei 9,19 Euro, wobei das Gros bei 5,80 Euro liegt. Dadurch sind wir im Bestand für diejenigen, die wenig Einkommen haben, immer ein guter Anbieter von bezahlbarem Wohnraum.“

Eine Prognose des Landesamtes für Statistik in Bayern geht von einem Bevölkerungszuwachs bis zum Jahr 2040 im Oberallgäu von bis zu 4,6 Prozent aus. Wie kann man das überhaupt stemmen, kann man für so viele Menschen hier überhaupt Wohnraum schaffen? Kann das SWW seinen Beitrag dazu leisten, dass die Menschen Unterkunft finden?

Martin Kaiser: „Diese Prognose so kenne ich nicht, ich habe eine andere Prognose, dass wir stagnieren und abnehmen. Bei 4,6 Prozent Plus müssten wir sagen nein, das können wir nicht stemmen, das wäre eine extreme Zahl, die wir mehr schaffen müssten, ohne das wir die Fläche zur Verfügung haben. Das ist für das Oberallgäu nicht leistbar.“

Die Baukosten steigen, an Neubauten werden immer höhere Auflagen gestellt. Daher steigen auch die Mieten der neu gebauten Wohnungen, beispielsweise im Goethe+ in Sonthofen. Gleichzeitig steigen aber aktuell auch die Lebenshaltungskosten für Alle. Wie soll sich jemand, der wenig bis normal verdient, nun überhaupt noch eine Wohnung leisten können?

Martin Kaiser: „Diejenigen, die ganz wenig Einkommen haben, zahlen im Neubau in Sonthofen 7 Euro für den Quadratmeter, wer etwas mehr Einkommen hat zahlt 8 Euro und wer noch mehr Einkommen hat 9 Euro pro Quadratmeter. Hier sind 60 Prozent der Bevölkerung eingeschlossen. Wenn man sieht was in einem Neubau alles drinsteckt sind 9 Euro als Höchstsatz nicht viel. Man muss immer die Relation sehen, was der Markt hier zur Verfügung stellt. Wir haben geförderten Wohnraum, und da kann sich aus meinem Blickwinkel auch die Familie oder der Single oder ein Mensch mit Behinderung eine Wohnung im Neubau leisten. Wir haben im Bestand zum Teil ja auch schon 6,50 Euro in einem sanierten Gebäude. Hier ist die Spanne meiner Meinung nach zu gering. Bei Autos beispielsweise ist es ja auch so, dass ein Neuwagen wesentlich mehr kostet als ein Gebrauchter.“

In der Bevölkerung kommt oftmals der Eindruck auf, dass das SWW mehr Eigentumswohnungen baut und verkauft als Wohnungen für Geringverdiener zur Verfügung stellt. Stimmt das?

Martin Kaiser: „Der Eindruck trügt. Wir haben eine Aufsichtsratsvorgabe, dass maximal 25 Prozent der Bautätigkeit in Reihenhäuser, auch wieder für junge Familien, und in den Geschosswohnungsbau stecken. Wir bauen viel mehr Mietwohnungen. Aktuell bauen wir bis 2025 416 Mietwohnungen.“

In den Anfangsjahren des SWW ging es ja auch vor allem darum, dass so viele Flüchtlinge im Allgäu waren und Unterkünfte brauchten. Wie sieht es aktuell aus, kann das SWW in der momentanen Situation auch helfen und Wohnungen für Flüchtlinge aus der Ukraine zur Verfügung stellen?

Martin Kaiser: „Ja, das konnten wir zum Glück. Wir haben im Goethe+ ein Abrisshaus, wo wir temporär bis nächstes Jahr im Juni zwölf Wohnungen für Flüchtlingsfamilien zur Verfügung stellen konnten. Wir unterstützen auch dadurch, dass wir unsere alten Laptops ans Landratsamt gegeben haben, die Verantwortlichen dort haben sie dann weitergegeben an Flüchtlinge, die welche benötigt haben. Wir haben Unterkünfte in Sonthofen, Burgberg, Hindelang und Immenstadt und sehen dieses Problem nicht nur als Problem, sondern bieten auch Lösungen an.“

Jubiläumsabend mit vielen Gästen

Zahlreiche Gäste waren am Dienstagabend ins Haus Oberallgäu – in den 1980er Jahren übrigens auch von Architekten des SWW geplant – nach Sonthofen gekommen, um 75 Jahre SWW Oberallgäu zu feiern. Aufsichtsratsvorsitzende und Landrätin Indra Baier-Müller und Geschäftsführer Martin Kaiser führten in ihrer Begrüßungsrede durch die Geschichte des SWW und hob mehrere Persönlichkeiten hervor, die sich im Laufe der Jahre besonders um das Unternehmen verdient gemacht haben, wie beispielsweise Toni Vogler, der seit Dezember 1977 im Aufsichtsrat sitzt – „Ihm lagen und liegen die Menschen am Herzen“, so Baier-Müller. Vogler sei einer der Garanten für den Erfolg des SWW. Auch der ehemalige Immenstädter Bürgermeister Gerd Bischof, der unter anderem das Spital in Immenstadt mit angestoßen hat war 36 Jahre als Bürgermeister und Kreisrat mit am SWW beteiligt. Für den ehemaligen Landrat Gebhard Kaiser „war das SWW der Garant dafür, dass Menschen bezahlbar wohnen können und vor allem Familien die Chance erhalten, Eigentum zu bilden. Mit seiner Dynamik und Beharrlichkeit ist es ihm gelungen, ganz viel im Wohnungsbau um- und durchzusetzen!“, so das große Lob für Kaiser.

Ein großes Lob richteten die beiden auch an die Mitarbeiter des SWW, ohne dies alles nicht so laufen würde wie es läuft. Wie wichtig die Mieterinnen und Mieter sind zeigte der Umstand, dass unter den Gästen auch zehn Mieter waren – beim Jubiläumsfest mit den Mietern am Wochenende waren diese zehn Plätze verlost worden. Überhaupt bemüht sich das SWW seit mehreren Jahren, auch mit Mieterfesten und Infozeitungen für die Mieter die Gemeinschaft und das Zusammengehörigkeitsgefühl zu stärken.

Auch einen Blick in die Zukunft wagten Baier-Müller und Martin Kaiser. Demografischer Wandel, digitale Transformation, Globalisierung und Nachhaltigkeit sind Stichpunkte, die die Herausforderungen der Zukunft zeigen.

Wie gelingt der Weg aus der Dauerkrise?

Beim Blick in Gegenwart und Zukunft fiel vor allem ein Wort oft: Krise. Corona, Klimakrise, Krieg in der Ukraine – all dies führt aktuell zu einer sehr angespannten Lage auf dem Wohnungs- und Wohnbaumarkt. Lieferschwierigkeiten, exorbitant gestiegene Rohstoff- und Energiepreise, gestiegene Anforderungen an Nachhaltigkeit und Klimaschutz auch beim Bauen lassen die Baupreise explodieren. Drei Gastredner hielten Vorträge zum Thema „Wie kommen wir aus der Dauerkrise heraus“.

Axel Gedaschko, Präsident des Gesamtverbandes der Wohnungswirtschaft Deutschland war aus Berlin zugeschalten. Er sprach über das Thema Ökonomie und die Problematik, den Wunsch nach Wohnraum mit den Vorgaben der Energieeinsparung in Einklang zu bringen. Für ihn kann es kein „weiter so“ geben, man müsse über einzelne Gebäude hinaus denken in ein ganzes Quartier, um die Themen Nachhaltigkeit und Energieversorgung erfüllen zu können. Auch müsse die Gesellschaft lernen, mit weniger Arbeitern bzw. Menschen das gleiche zu erreichen wie gehabt, und dies bei gleicher Qualität.

Prof. Dr. Dr. Dr. h.c. Franz Josef Radermacher sprach zum Thema Ökologie – für ihn ist die Klimakrise nicht national zu bewältigen, sie muss weltweit angegangen werden. Schließlich wachse in manchen Teilen der Welt die Bevölkerung extrem an, während sie in Deutschland eher zurückginge – Deutschland und auch Europa alleine können nicht genug tun, um den Klimawandel zu stoppen.

Neurowissenschaftlerin Prof. Dr. Maren Urner erläuterte den Anwesenden, dass jeder einzelne Umdenken müsse und wie dies mit unserem „Steinzeitgehirn“ gelingen kann – weg vom statischen, negativen Denken hin zum neuen, positiven Denken. Nur so könne Veränderung herbeigeführt werden.

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Geschrieben von: Redaktion

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