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Panorama

AllgäuHIT SonnTalk: Pflegehotel Allgäu – ein innovatives Projekt

today18. Juli 2022 91

Hintergrund
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Im AllgäuHIT SonnTalk waren Elke und Jörg Müller vom Pflegehotel Allgäu, auch bekannt als Berggasthof Sonne in Imberg. Sie haben mit Isabelle Tausend unter anderem über das Konzept, aber auch über die Herausforderungen gesprochen. 

Was ist ein Pflegehotel überhaupt und was ist das Konzept dahinter?

Jörg Müller: "Die Definition was ein Pflegehotel eigentlich ist, ist nicht sehr einfach. Es ist deshalb nicht sehr einfach, weil dieser Begriff nicht genormt ist. Es gibt also im Bereich der Pflege keine Definition, was ein Pflegehotel ist. Es wird definiert, was ein Heim oder eine Einrichtung ist, aber für ein Pflegehotel gibt es keine Definition. Wir können uns letztendlich nur aus uns selbst heraus definieren. Unser Pflegehotel, so wie wir das Konzept sehen und betreiben, besteht aus einem Hotelbetrieb, der die Übernachtung und Verpflegung und die Bereitstellung von Pflegehilfsmitteln organisiert und einem ambulanten Pflegedienst, also eine zweite Firma, die exklusiv mit diesem Hotel zusammenarbeitet. Beides zusammen gibt das Konzept des Pflegehotels Allgäu wider". 

Wie seid ihr denn auf die Idee gekommen und wann ist die Idee entstanden?

Elke Müller: "Da hat Corona wirklich mal einen positiven Nebeneffekt gehabt, als Gastronomen und Hoteliers waren wir vom ersten Lockdown dramatisch betroffen, rückblickend ist zwar alles noch recht glimpflich für uns verlaufen, aber in der Situation mit Blick in die Zukunft kann ein Unternehmer schon einmal die Verzweiflung ergreifen. Als der zweite Lockdown kam, habe ich dann meinen ersten Beruf wieder aufleben lassen, in meinem ersten Berufsleben war ich 30 Jahre lang Fachkrankenschwester im Bereich Intensiv-, und Anästhesie, Palliativpflege, kenne mich auch aus in der ambulanten Pflege oder 24 Stunden Intensivpflege. Da wir Menschen aus wichtigem Grund aufnehmen durften, haben wir gemeinsam beschlossen, dass wir unser Hotel zur Aufnahme von kranken und pflegebedürftigen Menschen anbieten. So ist die Idee entstanden aus dem Hotel ein Pflegehotel zu kreieren". 

Jörg Müller: "Fast wäre es uns nicht gelungen das Konzept durchzuführen, weil wir nach Ende des ersten Lockdowns derartig belagert wurden von Menschen, die ein starkes Defizit hatten, Urlaub zu machen, dass wir das Konzept aus dem Auge verloren haben. Aber wie schon gesagt ist dann im zweiten Lockdown der Entschluss gereift, das Hotel entsprechend so umzubauen und umzustrukturieren, um Pflege zu ermöglichen".

Wie sieht es denn hier im Allgäu aus, gibt es von solchen Pflegehotels noch weitere oder ist Ihres das Einzige?

Elke Müller: "Unser Hotel ist in der Art, in der wir es führen zumindest einzigartig. Mir fallen spontan keine weiteren Hotels mit einem gleichem oder ähnlichem Konzept ein. Ein paar Dörfer weiter gab es für ein paar Jahre auch ein Hotel, was sich auf Rollstuhlfahrer spezialisiert hat. Die hatten extra ambulante Pflegedienste zur Versorgung ihrer Gäste kommen lassen, was aber in den letzten Jahren immer schwieriger wurde, weil die ambulanten Pflegedienste ohnehin schon einen viel zu großen Zeitdruck haben und sich nicht auf ein Hotel einlassen können. Somit ist deren Konzept leider gestorben und inzwischen vermittelt auch dieses Hotel Gäste an uns". 

Wie wird denn so eine Art von einem Hotel hier im Allgäu angenommen und wer nutzt es?

Elke Müller: "Der Allgäuer ist von Natur aus zurückhaltend und etwas stur, etwas Neues, was er nicht kennt, wird erstmal lange nicht beachtet. Die Menschen, die den dringenden Bedarf haben finden uns und loben uns. Gerade der Allgäuer mit den Verhinderungswegen, der top regional wohnt, kommt wieder wieder, besucht uns öfter. Neue Gäste sagen, dass die Nachbarn, Freunde oder der Hausarzt uns weiter empfohlen hat. Von dem her ist die Akzeptanzunseres Hotels im Allgäu groß und weiter wachsend". 

Pflege benötigt doch bestimmt eine Menge Fachkräfte, wie sind Sie da aufgestellt?

Elke Müller: "Interessanterweise hat unsere Pflege mit der Hilfe von zwei Servicekräften gestartet. Die waren damals noch im Lockdown, Anfang letzten Jahres, arbeitslos, weil wir ja auch keinen Restaurantbetrieb hatten und beide hatten einen privaten medizischen und pflegerischen Hintergrund. Servicekräfte sind perfekt in der Pflege, sie haben einen 360 Grad Blick, sie sehen jeden kommen und gehen und sitzen, sie nehmen jede Mimik des Gastes wahr. Es war eine sehr schöne Startzeit für uns, weil wir am Anfang erst noch weniger Gäste hatten, die aber wirklich perfekt versorgt werden konnten. Im Laufe der Zeit hat sich unser Konzept herum gesprochen, da haben sich dann auch Pflegefachkräfte, Pflegehelfer aus anderen Einrichtungen oder Pfelgediensten bei uns beworben. Diesen Menschen ist der Einstieg zum Teil schwer gefallen, weil unsere Arbeit doch erheblich anders ist, als die in Altenheimen, anderen Einrichtungen oder Pflegediensten. Auf der einen Seite müssen meine Mitarbeiter sehr viel weniger Bürokratie erledigen, auf der anderen Seite aber auch mehr Dienstleistung, klassische Dienstleistung erbringen. Wir haben keine Patienten, wir haben schließlich Gäste. Inzwischen bildet sich ein Stammteam zusammen, die auch wieder weitere Kollegen aus ihren anderen Kreisen an uns heranführen, so wächst der Mitarbeiterstamm und im Moment bin ich sehr zufrieden mit der Anzahl der Helfer. Es müssen nicht immer Fachkräfte sein, aber ganz ohne geht es auch nicht. Der Fachkräftestamm wächst". 

Inwieweit kann den ein Mensch pflegebedürftig sein und bei Ihnen noch Urlaub machen, gibt es da eine Eingrenzung?

Elke Müller: "Eigentlich nicht. Wir unterscheiden den Pflegegast, der bei uns gepflegt wird, weil er einen schweren Pflegebedarf hat, derweil die Angehörigen, Ehefrau, Kinder oder wer auch immer klassisch Urlaub genießen können und ihren Pflegefall in der Familie gut versorgt wissen. Es gibt aber auch viele Reisende verschiedener Altersstufen, wo ein Partner pflegebedüftig ist. Diese Menschen haben durchaus noch einen Reisewillen und diese Reiselust können wir ihnen ermöglichen, dadurch, dass wir die erforderlichen Grundpflegemaßnahmen unterstützen, dass wir beim Transfer unterstützen, auf spezielle Nahrungs- oder Essgewohnheiten Rücksicht nehmen und untertags können sie ihre Reiselust fröhnen. Das Allgäu bietet da eine tolle Möglichkeit". 

Wieso gibt es in dem Bereich nicht mehr?

Jörg Müller: "Zuerst haben wir uns die Frage gestellt, welches Gästeklientel betrifft das. Wir haben ja ursprünglich mit dem Hotel gestartet und haben festgestellt, dass, so wie sich das für unser Hotel darstellt, hauptsächlich ab 45-50 die Hauptgruppe bei den Gästen darstellt. Diese Personen, die zu uns kommen stellen fest, dass bei uns im Hotel auch Menschen wohnen, die von unserem Pflegedienst gepflegt werden und es ist dann ein großes Miteinander. Pflege geht früher oder später jeden etwas an und es ist sicherlich ein spannendes Thema, aber es gibt viel zu wenig. Also ich kann hauptsächlich für das Allgäu sprechen, unser Haupteinzugsgebiet geht so ungefähr bis Ulm, mit Punkten in Deutschland Richtung Berlin, Dresden oder Hamburg, aber das ist eher der Ausnahmefall, weil die Anreise sehr lange ist. Diese Reisenden haben einfach das Problem, dass es keine solche Häuser gibt wie unsere oder nur sehr wenige und generell dann lieber zuhause bleiben wollen". 

Wo liegen denn die größten Herausforderungen bei Ihnen?

Elke Müller: "Die größte Herausforderung ist es Personal zu gewinnnen. Egal, ob Fachpersonal oder Helferpersonal, der Markt wird immer knapper an Mitarbeitern und letzten Endes ist es nur eine Verschiebung von Personal. Auch, wenn ich froh bin neue Mitarbeiter zu gewinnen, dann fehlen sie wieder an einer anderen Stelle. Damit ist der Allgemeinheit auch nicht geholfen. Pflege muss nicht immer professionell gelernt sein, oft reicht einfach das Herz für den Menschen, die Zuwendung, ein offenes Ohr und natürlich auch der gesunde Menschenverstand. Nachwuchs, den suchen wir". 

Sie ermöglichen ja in einem gewissen Grad "Urlaub für Alle". Also auch Familien mit pflegebedürftigen Mitgliedern können bei Ihnen Urlaub machen. Was bedeutet das für Sie den jetzt konkret?

Elke Müller: "Wir bieten den Vorteil, dass wir einen Anbau im Jahr 2015 machen durften in Ergänzung zum Berggasthof. Dieser Anbau wurde nach modernen Bestimmungen gebaut, wo automatisch alles ebenerdig und breit ist, mit einem Aufzug versehen und stabil ist. Damals dachten wir noch gar nicht daran, jemals in dem Haus pflegen zu wollen, wir wollten dem Gast nur eine schöne Unterkunft bieten. Jetzt, wo wir pflegen zeigt es sich, dass die Planung damals quasi perfekt war. Bisher kommen alle Rollstühle durch alle Türen, wir kommen mit dem Pflegegast in jede Dusche hinein, mit dem Aufzug sind wir völlig ungebunden, welche Ebene angefahren wird. Von daher haben wir beste Voraussetzungen wirklich einem großen Spektrum an Urlaubern den Urlaub zu ermöglichen". 

Wie wird das denn generell angenommen, also kommen wirklich viele Paare, bei denen der eine fit und der andere pflegebedürftig ist?

Jörg Müller: "Das ist nicht einfach zu beantworten, weil wir darüber keine feste Statisik führen. Es ist so, dass wir am Anfang, als wir das Pflegehotel gestartet haben, haben wir alle Sozialstationen, Hausärzte und andere Insitutionen, Krankenhäuser angeschrieben und Bescheid gegeben, dass wir jetzt so eine Dienstleistung anbieten. Unser Pflegehotel ist dann aus diesem Konzept heraus gewachsen und mutiert und heute sind es die Angehörigen, die schon bei uns waren, die uns wieder weiterempfehlen, das sind dann die Gäste, die zu uns kommen. Zwischendurch gepaart mit normalen Touristen. Wir sind fast so etwas, wie ein Inklusionshotel, wobei der Begriff nicht zu hundert Prozent passt. Es kommen Familienpaare mit Kindern und es ist ein reges Treiben in unserem Hotel von allen Formen von Gästen, die Sie auch schon vorher im Allgäu gefunden haben, nur ergänzt um die Pflegebedürftigen". 

Es ist ein sehr zukunftsfähiges Projekt gerade vor dem Hintergrund des demografischen Wandels, was wünschen Sie sich mit Blick auf die Zukunft?

Elke Müller: " Das Allgäu ist inzwischen wandermäßig sehr gut ausgebaut. Sehr viele Wanderwege sind inzwischen breit geworden, teilweise sogar asphaltiert. Wir merken bisher, dass ohnehin schon sehr viel mehr alte Menschen reisen. Sehr viele mehr mit Rollatoren und Rollstühlen. Unabhängig von unserem Hotelbetrieb sieht man diese Menschen immer öfter auf irgendwelchen Bergen. Das zeigt eben, dass die Reiselust nicht nur junge Paare betrifft, sondern auch die ältere Gesellschaft, die sich das sicher finanziell auch gut leisten kann. Wir merken, dass unser Konzept im Pflegehotel funktioniert. Wir haben einen regen Zulauf uns bisher sehr viel gutes Feedback. Wir würden uns wünschen, dass die Zukunft uns die Gelegenheit bietet das Konzept weiter zu fahren und gegebenenfalls auch auszubauen. Das hängt von vielen Faktoren ab, natürlich erstens die Personalsituation. Wir könnten uns aber vorstellen, mit einem weiteren Standort weitere Touristen und Pflegebedürftige Urlaub ermöglichen zu können". 

Jörg Müller: " Das Internet macht uns das auch einfacher. Auch für die Reisenden mit Pflegebedarf wird es einfacher. Es gibt ja jetzt inziwschen eine ganze Menge an Internetseiten, speziell für Rollstuhlfahrer, wo man sich über Landkarten anschauen kann, wo gibt es Hotels, die Rollstuhlfahrer unterstützen. Es gibt auch einige Projekte der Bundesregierung über Reisen für Alle, wo man speziell Angebote findet von zertifizierten Anbietern, die zeigen, wo man überall Urlaub machen kann und wo einem überall geholfen wird". 

Mit Urlaub für Alle, haben Sie ja eigentlich Mehrkosten beim Personal, denn Sie haben das normale Personal und zusätzlich auch noch Fachkräfte. Wie managen Sie das?

Elke Müller: "Wir brauchen kein zusätzliches Personal. Um den Betrieb des Pflegehotels zu ermöglichen, habe ich extra einen ambulanten Pflegedienst gegründet. Das ist ein eigenständiger Betrieb mit eigenen Mitarbeitern, die sich auch separat aus der Pflege heraus finanzieren. Das heißt ein Pflegegast bekommt bei uns zwei Rechnungen, einmal die klassische Hotelrechnung und eine Rechnung vom Pflegedienst über die erbrachten Pflegeleistungen. Aus diesem Rechnungspool wird das Personal finanziert". 

Was sind denn Grundvoraussetzungen, die ihr Personal mitbringen muss und wie sieht es mit dem Thema Ausbildung aus – machen Sie da etwas?

Elke Müller: "Ich freue mich über jede Fachpflegekraft, die ich gewinnen kann. Das ist aber sehr schwierig darum nehme ich auch sehr gerne erfahrene Pflegehelfer auf und natürlich Menschen, die ein Herz für andere Menschen haben, die bereit sind andere Menschen zu unterstützen und von sich aus merken, wo Bedarf ist, wo eine Unterstützung erforderlich sein könnte und die ihren gesunden Menschenverstand walten lassen können. Es wäre auch sehr schön, wenn mehr deutschsprachige Mitarbeiter da wären, weil Kommunikation ist ein sehr wesentlicher Punkt in der Pflege. Mit Händen und Füßen geht es leider nicht immer. Das Thema Ausbildung haben wir bereits angedacht, wir sehen darin aber noch ein Problem, weil wir wahrscheinlich nicht entsprechend den deutschen Pflegegesetzen nach ausbilden können. Wir sind aber bereit Schüler aus anderen Ausbildungseinrichtungen aufzunehmen". 

Mit der Ukrainekrise sind einige Fachkräfte zu uns nach Deutschland gekommen. Können Sie diese in die Arbeit integrieren, haben Sie das vielleicht auch schon getan?

Elke Müller: "Vor einiger Zeit sind Nachbarn aus dem Dorf auf uns zu gekommen, sie haben ukrainische Flüchtlinge aufgenommen und gefragt, ob wir ihnen Arbeit geben können. Da sind sie bei uns natürlich gleich in offene Arme gelaufen. Inzwischen beschäftigen wir vier ukrainische Flüchtlinge. Eine ukrainische Krankenschwester und drei Personen aus einer Familie, die in den anderen Hotelbereichen arbeiten, das auch sehr erfolgreich. Nur jemand, der in der Küche arbeitet, benötigt eben nicht so gute Deutschkenntnisse, wie zum Beispiel die Krankenschwester. Alle besuchen aber viermal pro Woche einen Deutschkurs und wir merken von Woche zu Woche Fortschritte". 

Wo sehen Sie denn in Zukunft personell die größten Herausforderungen und was wünschen Sie sich für die Zukunft?

Elke Müller: " Wir sehen nicht nur im Bereich der Pflege, sondern auch in den anderen Hotelbereichen einen kapitalen Nachwuchsmangel. Eigentlich haben wir von Beginn an unserer Tätigkeit im Berggasthof ausbilden wollen. Wir hätten in der ersten Zeit einen ägyptischen Lehrling haben können, wenn er nicht von der deutschen Regierung ausgewiesen worden wäre. Einen zweiten Auszubildenden hatten wir im letzten Jahr, er müsste jetzt seine Prüfung hoffentlich bestanden haben. Wenn man jetzt aber rückblickend auf fast neun Jahre Tätigkeit im Berggasthof zurückblickt mit zwei Auszubildenden, das ist schon sehr traurig. Das trifft auch auf den Bereich Pflege zu, es gibt bisher keinen jungen Menschen, der mal nachgefragt hat, was wir denn machen oder ob wir irgendetwas für ihn hätten. Die meisten jungen Menschen reden nur von ihrer Freizeit und ihrer Freizeitgestaltung, können das Handy nicht mehr loslassen. Sie schaffen es nicht mehr sich auf wesentliche Dinge zu konzentrieren und verantwortungsvoll mit dem Bewusstsein von Konsequenzen arbeiten zu können. Ich könnte mir vorstellen, dass eine Art soziales Pflichtjahr für alle jungen Menschen nach der Schule von großem Nutzen sein könnte". 

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Geschrieben von: Redaktion

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