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Die Fundstelle des Affenmenschen "Udo", die Tongrube Hammerschmiede bei Pforzen im Ostallgäu, erweist sich immer wieder als Goldgrube für archäologische Erkenntnisse. Zwei dort ebenfalls gefundene fossile Hirschferkelschädel, die rund elf Millionen Jahre alt sind, wurden nun von zwei Tübinger Wissenschaftlerinnen untersucht.
Hirschferkel gehören zu den kleinsten Wiederkäuern der Welt. Sie leben heute in den Tropen Afrikas und Asiens und sind kaum größer als Hasen. Männchen und Weibchen unterscheiden sich äußerlich nur wenig. Das war vor rund elf Millionen Jahren anders: Josephina Hartung und Professorin Madelaine Böhme vom Senckenberg Centre for Human Evolution and Palaeoenvironment an der Universität Tübingen stießen bei der Untersuchung zweier fossiler Hirschferkelschädel aus der Tongrube Hammerschmiede im Allgäu auf einen bisher unbekannten Geschlechtsunterschied. Sie entdeckten am Schädel eines männlichen Hirschferkels auffällige Knochenwülste über den Augen, die den Weibchen fehlten. Die Studie wurde vor Kurzem im Fachmagazin PLOS ONE veröffentlicht.
„Bei heute lebenden Hirschferkeln unterscheiden sich die Männchen von den Weibchen nur durch vergrößerte und äußerlich sichtbare obere Eckzähne“, sagt die Doktorandin Josephina Hartung. Diese säbelartigen Hauer dienten im Kampf zweier Männchen als Waffe oder zur Demonstration von Stärke. Die Hirschferkel der ausgestorbenen Art Dorcatherium naui, die vor elf Millionen Jahren in der heutigen süddeutschen Gegend um Pforzen lebten, seien etwas größer gewesen als heutige Arten. Sie waren Zeitgenossen des ersten aufrecht gehenden Menschenaffen Danuvius guggenmosi, dessen Überreste aus der Hammerschmiede bereits vor einigen Jahren untersucht wurden.
Luftgefüllte Knochenstrukturen
„Das Ungewöhnliche an den männlichen Schädeln der Hirschferkel aus der Hammerschmiede sind gut ausgeprägte Knochenwülste, die das Schädeldach nahezu kranzartig umschließen“, erläutert Hartung. Dieses Merkmal war bisher sowohl bei heutigen als auch bei fossilen Hirschferkeln unbekannt. Weibliche Hirschferkelschädel vom selben Fundort wiesen dieses Merkmal nicht auf. Die Forscherinnen schlossen daraus, dass es sich um einen bis jetzt unentdeckten Geschlechtsunterschied, auch als Geschlechtsdimorphismus bezeichnet, handeln müsse. Eine Bestätigung dieses Befunds erhielten sie durch den Vergleich mit weiteren fossilen Schädeln dieser Hirschferkelart.
Interessant sei, dass die Schädelwülste des Männchens mit Luft gefüllt waren, sagt Hartung. Das hätten Messungen mithilfe der Mikro-Computertomografie ergeben, einem Röntgenverfahren, mit dem man dreidimensionale Bilder der inneren Struktur kleiner Proben erhält. „Diese Daten haben uns gezeigt, dass die Wülste keineswegs mit dichtem Knochenmaterial gefüllt waren, sondern vielmehr viele kleine Hohlräume besaßen, ähnlich wie bei heutigen Giraffen.“ Ob diese Hohlräume zur Verringerung des Gewichts des Schädels dienten oder eine andere Funktion hatten, ist derzeit noch unklar. „Möglicherweise schützte der über der Augenpartie liegende Wulstabschnitt das Auge vor Kampfverletzungen durch die dolchartigen Eckzähne eines anderen Männchens, wie man dies von Muntjakhirschen kennt“, mutmaßt Madelaine Böhme.
Hinweis auf eine ökologisch diverse Familie
Die Forscherinnen halten es auch für wahrscheinlich, dass die Knochenwülste als eine Art Darstellungsmerkmal dienten, als Schmuck oder zum Imponieren, um Weibchen zu beeindrucken oder andere Männchen abzuschrecken. Ähnliches sei von den nahverwandten Huftieren wie Giraffen, Hirschen und Antilopen bekannt, die als Stirnwaffenträger hornartige Auswüchse, Hörner oder Geweihe tragen. „Dass die evolutionsgeschichtlich primitiveren Hirschferkel Knochenwülste auf ihren Schädeln trugen, ist ein Novum für die Biologie dieser kleinen Wiederkäuer“, sagt Hartung. Dies deute darauf hin, dass die Hirschferkel einst eine ökologisch diversere Familie bildeten.
„Erneut haben die Grabungen in der Hammerschmiede gezeigt, welches einzigartige Potenzial die Fossilien besitzen. Sie helfen uns, mehr über die Evolution und Biologie ausgestorbener Arten zu erfahren“, sagt Böhme.
Written by: Redaktion