Barbara Lochbihler zum Prozess: Pinar Selek
Morgen um 10 Uhr beginnt die vermutlich letzte Anhörung im mittlerweile 16 Jahre währenden Schauprozess gegen die türkische Soziologin und Schriftstellerin Pinar Selek. Trotz dreimaligem Freispruch soll erneut über die Forderung der Staatsanwaltschaft nach lebenslanger Haft entschieden werden. Barbara Lochbihler kommentiert:
„In sechszehn Jahren juristischen Irrsinns wurde meine Freundin Pinar Selek bereits drei Mal freigesprochen. Dennoch fordert die Staatsanwaltschaft in Istanbul weiterhin lebenslange Haft für die türkische Soziologin. Morgen soll nun das endgültige Urteil fallen. Die Verteidigung erhält die vermutlich letzte Gelegenheit, die Vorwürfe gegen Pinar Selek als das zu entlarven, was sie sind: eine vollkommen haltlose, politisch motivierte Hetzkampagne und Auswuchs interner Machtkämpfe. Wenn die türkische Justiz auch nur einen Rest ihrer Glaubwürdigkeit behalten will, darf es morgen nur eine Option geben: Freispruch Nummer vier, und zwar endgültig.
Laut Staatsanwaltschaft soll Pinar Selek 1998 einen Bombenanschlag verübt haben. Stichhaltige Beweise aber fehlen, alles deutet auf eine Gasexplosion hin. Zeugen zogen ihre Aussagen zurück, berichteten von Misshandlung und erzwungenen Geständnissen. Der Hauptzeuge gab später zu Protokoll, die Angeklagte nicht einmal zu kennen. Auch Pinar selbst wurde im Gefängnis schwer gefoltert, während sie vorrangig zu ihrer Arbeit als Soziologin, nicht zum vermeintlichen Bombenattentat befragt wurde.
All das macht überdeutlich: Es soll hier kein Verbrechen aufgeklärt, sondern eine kritische Wissenschaftlerin zum Schweigen gebracht werden. Allerdings ohne Erfolg: Pinar kämpft im Asyl weiter für ihre und die Rechte anderer – und weiß dabei nicht nur mich, sondern das gesamte Europäische Parlament hinter sich.
Erst am Wochenende waren in der Türkei zahlreiche regierungskritische Journalisten festgenommen worden. Mitgliedern des regierungskritischen Fußballfanclubs Carsi wirft die Staatsanwaltschaft den versuchten Umsturz der Regierung vor und fordert lebenslange Haft. All diese Vorfälle zeigen: Der politische Einfluss auf die türkische Justiz nimmt weiter zu, der Druck auf die noch verbleibende freie Presse wächst. Damit muss Schluss sein. Ein Freispruch morgen in Istanbul wäre da ein wichtiges Signal.“
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